Metaphern & Geschichten

Hier finden Sie eine Auswahl von inspirierenden Metaphern und Geschichten:

Der Tempel der tausend Spiegel

Es gab in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages kam ein Hund und erklomm den Berg. Er stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel.
Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne.
Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe.
Einige Zeit später kam ein anderer Hund, der den Berg erklomm. Auch er stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal mit den tausend Spiegeln kam, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf.
Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohl gesonnen sind.

Was ist Wahrheit?

Ein Schüler fragte seinen Meister: was die Wahrheit?
Der Meister antwortete ihm: die Wahrheit ist wie die Sonne – wenn Du ihr zu nahe kommst verbrennst Du dich.

Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Es war eine kleine Frau, die den staubigen Weg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei einer zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen.
Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: „Wer bist du?“ Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass Sie kaum zu hören war. „Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen. „Du kennst mich?“‘ fragte die Traurigkeit misstrauisch.
“Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast Du mich ein Stück des Weges begleitet.“
“Ja, aber …“, argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?“ „Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtling einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?“
“Ich … ich bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme. Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr.
“Traurig bist du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf.
“Erzähl mir doch, was dich bedrückt.“ Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. „Ach, weißt du“, begann sie zögernd und äußerst verwundert, „es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest.“ Die Traurigkeit schluckte schwer. „Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen.“
“Oh ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir schon oft begegnet.“
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lächeln über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicker Panzer aus Bitterkeit zu.“ Die Traurigkeit schwieg.
Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr allein wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“ Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und beobachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: „Aber … aber – wer bist eigentlich du?“
“Ich?“ sagte die kleine alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen.
“Ich bin die Hoffnung!“

Das Geheimnis der Zufriedenheit

Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.
„Herr“, fragten sie „was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“
Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“
Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: „Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?“
Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich.“
Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“

Arme Leute

Eines Tages nahm ein Mann seinen Sohn mit aufs Land, um ihm zu zeigen, wie arme Leute leben. Vater und Sohn verbrachten einen Tag und eine Nacht auf der Farm einer sehr armen Familie. Als sie wieder zurückkehrten, fragte der Vater seinen Sohn: „Wie war dieser Ausflug?“ „Sehr interessant!“ antwortete der Sohn.“ Und hast du gesehen, wie arm Menschen sein können?“ „Oh ja, Vater, das habe ich gesehen.“ „Was hast du also gelernt?“ fragte der Vater. Und der Sohn antwortete: „Ich habe gesehen, dass wir einen Hund haben und die Leute auf der Farm haben vier. Wir haben einen Swimmingpool, der bis zur Mitte unseres Gartens reicht, und sie haben einen See, der gar nicht mehr aufhört. Wir haben prächtige Lampen in unserem Garten und sie haben die Sterne. Unsere Terrasse reicht bis zum Vorgarten und sie haben den ganzen Horizont.“ Der Vater war sprachlos. Und der Sohn fügte noch hinzu: „Danke Vater, dass du mir gezeigt hast, wie arm wir sind.“

Die Durchreise

Ein Besucher sah mit Erstaunen, dass der Rabbi in einem Zimmer nur mit einem Tisch, einem Stuhl, einem Bett und ein paar wenigen Büchern lebte. „Rabbi, wo sind ihre Möbel?“ fragte der Besucher. „Wo sind Ihre?“ erwiderte der Rabbi. „Meine? Aber ich bin nur zu Besuch hier. Ich bin auf der Durchreise“, sagte der Besucher. „Genau wie ich“, sagte der Rabbi.

Der Wettstreit zwischen Sonne und Wind

Der Wind und die Sonne gerieten eines Tages darüber in einen Streit, wer es von den beiden wohl schneller schaffen würde, den Wanderer dazu zu bringen, seine Jacke auszuziehen.
„OK“, sagte der Wind „Lass uns einen Wettkampf dazu machen.“
Der Wind begann. Er blies so fest er nur konnte und stürmte und tobte und wollte dem Mann seine Jacke mit Gewalt vom Leib reißen. Aber der Wanderer zog seine Jacke nur immer fester um sich und hielt sie mit beiden Händen fest.
Nach einer ganzen Weile gab der Wind auf.
Dann war die Sonne an der Reihe. Sie wählte einen anderen Weg: Liebevoll sandte sie dem Wanderer ihre warmen Strahlen. Und es dauerte nicht lange, bis er die Jacke aufknöpfte und sie ganz auszog.

Nach der Fabel von Aesop

Warum Frauen so leicht weinen

Ein kleiner Junge fragte seine Mutter: „Warum weinst du?“ „Weil ich eine Frau bin“, erzählte sie ihm. „Das versteh ich nicht“, sagte er. Seine Mama umarmte ihn nur und sagte:“ Und das wirst du auch niemals.“ Später fragte der kleine Junge seinen Vater:“ Warum weint Mutter scheinbar ohne einen Grund?“ Alle Frauen weinen ohne Grund“, war alles, was sein Vater sagen konnte. Der kleine Junge wuchs heran, wurde ein Mann und fragte sich immer noch, warum Frauen weinen. Endlich rief er das Höchste Wesen an, und als das Höchste Wesen ans Telefon kam, fragte er: „Höchstes Wesen, warum weinen Frauen so leicht?“
Das Höchste Wesen sagte: „Als ich die Frau machte, musste sie etwas Besonderes sein. Ich machte ihre Schultern stark genug, um die Last der Welt zu tragen, doch sanft genug, um Trost zu spenden. Ich gab ihr innere Kraft, um sowohl Geburten zu ertragen, wie die Zurückweisungen, die sie von ihren Kindern erfährt. Ich gab ihr Härte, die ihr erlaubt weiterzumachen, wenn alle anderen aufgeben und ihre Familie in Zeiten von Krankheit und Erschöpfung zu versorgen, ohne sich zu beklagen. Ich gab ihr Gefühlstiefe, mit der sie ihre Kinder immer und unter allen Umständen liebt, sogar wenn ihr Kind sie sehr schlimm verletzt hat. Ich gab ihr Kraft, ihren Mann mit seinen Fehlern zu ertragen und machte sie aus seiner Rippe, damit sie sein Herz beschützt. Ich gab ihr Weisheit, damit sie weiß, dass ein guter Ehemann niemals seine Frau verletzt, aber manchmal ihre Stärke und ihre Entschlossenheit testet, unerschütterlich zu ihm zu stehen.
Und zum Schluss gab ich ihr eine Träne zum Vergießen. Die ist ausschließlich für sie, damit sie davon Gebrauch macht, wann immer es nötig ist.“

Der verzagte Baumwollfaden

Es war einmal ein kleiner weißer Baumwollfaden, der hatte ganz viel Angst, dass er so wie er war, zu nichts nutze sei.
Ganz verzweifelt dachte er immer wieder: „Ich bin nicht gut genug, ich tauge zu nichts. Für einen Pullover bin ich viel zu kurz. Selbst für einen winzig kleinen Puppenpullover tauge ich nichts! Für ein Schiffstau bin ich viel zu schwach. Nicht mal ein Hüpfseil kann ich aus mir machen lassen! Mich an andere kräftige, dicke, lange Fäden anknüpfen kann ich nicht, die lachen doch sowieso über mich. Für eine Stickerei eigne ich mich auch nicht, dazu bin ich zu blass und zu farblos. Ja, wenn ich aus Goldgarn wäre, dann könnte ich eine Stola verzieren oder ein Kleid… Aber so?! Ich bin zu gar nichts nütze. Was kann ich schon? Niemand braucht mich. Keiner beachtet mich. Es mag mich sowieso niemand.“
So sprach der kleine weiße Baumwollfaden mit sich – Tag für Tag. Er zog sich ganz zurück, hörte sich traurige Musik an und weinte viel. Er gab sich ganz seinem Selbstmitleid hin.
Eines Tages klopfte seine neue Nachbarin an der Tür: ein kleines weißes Klümpchen Wachs. Das Wachsklümpchen wollte sich bei dem Baumwollfaden vorstellen. Als es sah, wie traurig der kleine weiße Baumwollfaden war und sich den Grund dafür erzählen ließ, sagte es: „Lass dich doch nicht so hängen, du schöner, kleiner, weißer Baumwollfaden. Mir kommt da so eine Idee: wir beide sollten uns zusammen tun! Für eine Kerze am Weihnachtsbaum bin ich zu wenig Wachs und du als Docht zu klein, doch für ein Teelicht reicht es allemal. Es ist doch viel besser, ein kleines Licht anzuzünden, als immer nur über die Dunkelheit zu klagen!“
Da war der kleine weiße Baumwollfaden ganz glücklich und tat sich mit dem kleinen weißen Klümpchen Wachs zusammen und sagte: „Endlich hat mein Dasein einen Sinn.“

Das Leid der Oase

Es war einmal eine wundervolle Oase. Sie grünte in einer Pracht, die schöner kaum sein konnte. Eines Tages blickte die Oase um sich, sie sah aber nichts anderes als die Wüste rings umher. Vergebens suchte sie nach ihresgleichen und wurde ganz traurig. Laut begann sie zu klagen: „Ich unglückliche, einsame Oase! Allein muss ich bleiben! Nirgends meinesgleichen. Nirgends jemand, der Freude an mir und meiner Pracht hat. Nichts, als die traurige, sandige, felsige, leblose Wüste umgibt mich. Was helfen mir hier in meiner Verlassenheit all meine Vorzüge und Reichtümer? „Da sprach die alte und weise Mutter Wüste: „Mein Kind, wenn es denn anderes wäre und nicht ich – die traurige, dürre Wüste – dich umgäbe, sondern wenn alles um dich herum blühend, grün und prachtvoll wäre, dann wärst du keine Oase. Du wärst dann kein begünstigter Fleck, von dem, noch in der Ferne die Wanderer rühmend erzählen. Du wärst dann nur ein kleiner Teil von mir und bliebest unbemerkt. Darum also ertrage in Geduld, was die Bedingung deiner Auszeichnung und deines Ruhmes ist!“

Nach Arthur Schopenhauer aus E. Lukas: Rendezvous mit dem Leben

Adler oder Muschel?

Nachdem Gott die Welt erschaffen hatte, begann er damit die Lebewesen zu entwickeln. Als erstes erschuf er die Muschel.
Die Muschel hatte ein recht langweiliges Leben. Den ganzen Tag filterte sie Wasser. Den ganzen Tag hieß es für sie also „Klappe auf; Klappe zu; Klappe auf; Klappe zu; Klappe auf…“
Dann erschuf Gott den Adler.
Dem Adler gab Gott die Freiheit, mit seinen weiten Schwingen über Berge, Meere und Täler zu fliegen. Aber er übergab dem Adler auch die Verantwortung für seine Jungen.
Dann erschuf Gott den Menschen. Erst brachte er ihn zu der Muschel „Klappe auf; Klappe zu; Klappe auf; Klappe zu“ und dann zum Adler, der frei über den Klippen schwebte und für seine Jungen das Futter erjagen musste.
Und der Mensch sollte sich entscheiden, welches Leben er führen will.
Vor dieser Entscheidung steht er manchmal heute noch.

Die Blinden und der Elefant

Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist.
Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.
Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten.
Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm.“
Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: „Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer.“
Der dritte Gelehrte sprach: „Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule.“ Er hatte ein Bein des Elefanten berührt.
Der vierte Weise sagte: „Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende“, denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet.
Und der fünfte Weise berichtete seinem König: „Also ich sage, ein Elefant ist wie ein riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf.“ Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt.
Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist.
Doch der König lächelte weise: „Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist.“
Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufrieden gegeben hatten.

Gespräch zwischen Zündholz und Kerze

Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze: „Ich habe den Auftrag, dich anzuzünden.“
„Oh nein“, erschrak die Kerze, „nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt. Niemand mehr wird meine Schönheit bewundern.“
Das Zündholz fragte: „Aber willst du denn ein Leben lang kalt und hart bleiben, ohne zuvor gelebt zu haben?“
„Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften“, flüstert die Kerze unsicher und voller Angst.
„Es ist wahr“, entgegnete das Zündholz. „Aber das ist doch das Geheimnis unserer Berufung: Wir sind berufen, Licht zu sein. Was ich tun kann, ist wenig.
Zünde ich dich nicht an, so verpasse ich den Sinn meines Lebens. Ich bin dafür da, Feuer zu entfachen.
Du bist eine Kerze. Du sollst für andere leuchten und Wärme schenken. Alles, was du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn du dich verzehrst. Andere werden dein Feuer weitertragen. Nur wenn du dich versagst, wirst du sterben.“
Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung: „Ich bitte dich, zünde mich an!“

Transformation

Da war einmal ein guter Mensch. Er hatte Mitleid mit dem hässlichen Gewürm der Raupen, wie sie sich Stunde für Stunde vorwärts plagten, um mühselig den Stängel zu erklettern und ihr Fressen zu suchen – keine Ahnung von der Sonne, dem Regenbogen in den Wolken, den Liedern der Nachtigall! Und der Mensch dachte: Wenn diese Raupen wüssten, was da einmal sein wird! Wenn diese Raupen ahnten, was ihnen als Schmetterling blühen wird: Sie würden ganz anders leben, froher, zuversichtlicher, mit mehr Hoffnung. Sie würden erkennen: Das Leben besteht nicht nur aus Fressen, und der Tod ist nicht das Letzte.

So dachte der gute Mensch, und er wollte ihnen sagen: Ihr werdet frei sein! Ihr werdet eure Schwerfälligkeit verlieren! Ihr werdet mühelos fliegen und Blüten finden! Und ihr werdet schön sein!

Aber die Raupen hörten nicht. Das Zukünftige, das Schmetterlingshafte ließ sich in der Raupensprache einfach nicht ausdrücken. Er versuchte, Vergleiche zu finden: Es wird sein wie auf einem Feld voller Möhrenkraut … Und sie nickten, und mit ihrem Raupenhorizont dachten sie nur ans endlose Fressen.

Nein, so ging es nicht. Und als der gute Mensch neu anfing: Ihr Puppensarg sei nicht das letzte, sie würden sich verwandeln, über Nacht würden ihnen Flügel wachsen, sie würden leuchten wie Gold – da sagten sie: Hau ab! Du spinnst! Du hältst uns nur vom Fressen ab! – Und sie rotteten sich zusammen, um ihn lächerlich zu machen.

 

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